
Nathalies Buch Tipp: Glück ist kein DIY-Projekt – Gedanken zu Liz Strömquists Das Orakel
Wir leben in einer Zeit, in der man das Gefühl hat – oder besser gesagt: haben muss –, Glück sei ein Do-it-yourself-Projekt.
Du musst nur deine Ziele kennen, nie aufgeben, immer an dich glauben, hinfallen, aufstehen, Krone richten – und zack: Alles wird gut. Glück liegt angeblich einzig an dir.
Klingt toll. Funktioniert kaum. Aber von etwas muss ja gerade die Ratheber Industrie leben!
Was bleibt, ist oft das Gefühl, ständig zu kurz zu kommen und irgendetwas falsch zu machen. Wer im Body-Mind-Soul-Optimierungswettbewerb scheitert und das instagrammable life nicht liefern kann, hat einfach den richtigen Guru noch nicht gefunden! Genau diesen Wahnsinn zerlegt Liz Strömquist in Das Orakel – witzig, klug und historisch und wissenschaftlich fundiert.
Von Fortuna zu „Fake it till you make it“
Früher, bei den alten Griechen, war Glück die Sache der Göttin Tyche, bekannter als römische Fortuna. Die war launisch und unberechenbar: mal warst du begünstigt, mal nicht. Heute dagegen sollen wir alles selbst in die Hand nehmen und das Leben gemäss einer – oft endlosen – To-do-Liste abarbeiten. Kein Wunder, dass immer mehr Jugendliche depressiv werden, während sie an Vorbildern lernen sollen, die genau an diesem Anspruch zerbrechen.
Und ich?
Seit über 20 Jahren begleite ich Menschen im Coaching. Nach der Lektüre des Buches habe ich mich kurz für den Namen meiner Firma geschämt und sogar über ein Rebranding nachgedacht. Stattdessen habe ich mir noch einmal bewusst gemacht, was ich eigentlich tue – und warum ich heute auch Therapie anbiete.
Ich liefere keine schnellen Ratschläge aus der gerade so gehypten Ratgeberliteratur. Ich arbeite mit Positiver Psychologie, die sich – anders als Instagram – auf die alten Griechen beruft. Dort bedeutet Glück nicht „immer positiv denken“, sondern, die Suche nach dem gelingenden Leben: lernen, mit Schicksal, Zufall und Unwägbarkeiten zu leben.
Dazu kommen die Erkenntnisse der Analytischen Psychologie, die das Leben als organischen Wachstumsprozess versteht, in dem wir uns selbst näherkommen – gerade durch die Brüche und Widersprüche. Und schließlich das, was der Buddhismus lehrt: Achtsamkeit, Demut und die Kunst, das Leben nicht zu kontrollieren, sondern ihm zu begegnen.
Knochenarbeit statt Glücksformeln
Das ist Knochenarbeit, kein 7 Schritte zum Erfolg, kein Quick Fix mit einer Nahrungsmittelergänzung, kein vorhersebarer Prozess. Wenig hat mich in meinem Leben so versöhnt wie die Übung, gütiger mit mir selbst umzugehen, meine Welt, so unperfekt sie auch ist, zu akzeptieren und gern zu haben. Genau da liegt für mich der Haken bei vielen Selbsthilferatgebern: Sie pressen Glück in Formeln – und übersehen, dass das Leben kompliziert, widersprüchlich und manchmal einfach schmerzhaft ungerecht ist.
Ich halte mich lieber an Rilke:
„ Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn..“
Darin steckt für mich mehr Trost und Wahrheit als in jedem „Believe in yourself“-Poster.
Und ganz ehrlich: Wenn die Glücksgöttin Tyche heute noch existieren würde – sie hätte vermutlich längst einen Instagram-Account mit dem Handle @its_all_random.